Ergebnisse & Perspektiven des Marxismus

Nicht „Ein Land, zwei Systeme“ – Für die revolutionäre Wiedervereinigung Chinas!

Der folgende Artikel ist übersetzt aus The Internationalist,1 Zeitschrift der Internationalist Group (IG), US-Sektion der Liga für die Vierte Internationale (LVI).

Für eine allgemeinere Analyse und programmatische Perspektive zum deformierten Arbeiterstaat China, siehe den von uns im November/Dezember 2021 übersetzten Artikel „China: Arbeiterkämpfe in der ‚sozialistischen Marktwirtschaft‘“.

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Die Wiedervereinigung Taiwans mit der Volksrepublik China ist nicht nur ein gegenwärtig brisantes Thema, sondern der Höhepunkt des Bestrebens, die imperialistische Zerstückelung Chinas rückgängig zu machen, die bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts zurückreicht. Aus dieser nationalen Unterdrückung entstand 1919 die Bewegung des 4. Mai, die sich vor allem gegen die kolonialen Übergriffe Japans, einschließlich Taiwans (und deren Billigung durch die „demokratischen“ imperialistischen Sieger des Ersten Weltkriegs im Versailler Vertrag), aber auch ganz allgemein gegen die imperialistische Vorherrschaft über das bevölkerungsreichste Land der Erde richtete. Diese Bewegung ging schnell über den patriotischen Nationalismus hinaus und verband sich mittels der Gründung der Kommunistischen Partei Chinas im Jahr 1921 mit dem revolutionären antiimperialistischen Kampf der Arbeiter.2

Ein Jahrhundert später haben die Internationalistische Gruppe und die Liga für die Vierte Internationale wiederholt dazu aufgerufen, die imperialistische Kriegstreiberei gegen China zu besiegen, deren Ziel es ist, die kapitalistische Konterrevolution zu schüren, so wie Leo Trotzki für die Verteidigung der Sowjetunion gegen den Imperialismus gekämpft hat, trotz des Verrats des Stalinismus. Gleichzeitig warnen wir davor, dass die nationalistische stalinistische Bürokratie mit ihrer Politik der Versöhnung mit Kapitalismus und Imperialismus diese Verteidigung untergräbt und behindert. In Bezug auf Taiwan fordern die Kommunistische Partei Chinas und ihr Führer, der chinesische Präsident Xi Jinping, die Wiedervereinigung Chinas auf der nationalistischen, explizit nichtsozialistischen Grundlage von „ein Land, zwei Systeme“. Was dies konkret bedeutet, wurde im Weißbuch des Büros für Taiwan-Angelegenheiten und des Informationsbüros des chinesischen Staatsrats aus dem Jahr 2000 deutlich gemacht:

„Nach der Wiedervereinigung wird die Politik ‚ein Land, zwei Systeme‘ praktiziert werden, wobei der Hauptteil Chinas (das chinesische Festland) sein sozialistisches System beibehält und Taiwan für eine lange Zeit sein kapitalistisches System beibehält.“

Im Weißbuch wird darauf hingewiesen, dass diese Taiwan-Politik erstmals 1979 von Deng Xiaoping vorgeschlagen wurde. Das war genau zu der Zeit, als die chinesische stalinistische Bürokratie ihr verräterisches Bündnis mit dem US-Imperialismus gegen die Sowjetunion weiter vertiefte, das von dem 1976 verstorbenen Mao Zedong begründet worden war. Es war auch die Zeit, als Deng seine Politik der „Reform und Öffnung“ der chinesischen Wirtschaft für Privatunternehmen und ausländische kapitalistische Investitionen ausarbeitete. Während (im Gegensatz zu dem, was die meisten bürgerlichen Ökonomen und reformistischen Pseudosozialisten behaupten) der staatliche Sektor in China immer noch vorherrschend ist, hat diese Politik einen großen kapitalistischen Sektor gefördert, der letztlich die wesentlichen Grundlagen des Arbeiterstaates gefährdet.3

Xi erläuterte seinen Standpunkt zu Taiwan in einer „Rede zum 40. Jahrestag der ‚Botschaft an die Landsleute in Taiwan‘“ am 1. Januar 2019. Darin erklärte der chinesische Präsident und Generalsekretär der KPCh, „die taiwanesischen Landsleute haben einen bedeutenden Beitrag zur Reform und Öffnung des Festlandes geleistet und auch die Entwicklungsmöglichkeiten des Festlandes geteilt“. Er versprach, „taiwanesischen Landsleuten und taiwanesischen Unternehmen die gleiche Behandlung zukommen zu lassen“ wie Unternehmen auf dem Festland, und während er versprach, taiwanesischen Separatisten kein Pardon zu geben und nicht auf die Anwendung von Gewalt zu verzichten, erklärte Xi, „nach der friedlichen Wiedervereinigung werden das soziale System und die Lebensweise der taiwanesischen Landsleute vollständig respektiert und das Privateigentum, der religiöse Glaube sowie die legitimen Rechte und Interessen der taiwanesischen Landsleute werden vollständig garantiert“.

Die stalinistische Bürokratie, von Deng bis Xi, hat darauf gesetzt, dass sie einen Sektor der bürgerlichen herrschenden Klasse Taiwans schaffen würde, der eine Wiedervereinigung mit China befürwortet, indem sie es vielen taiwanesischen Kapitalisten ermöglicht, mit der Ausbeutung der Arbeit chinesischer Arbeiter viel Geld zu verdienen. Den Beijinger Bürokraten ist es gelungen, einen solchen Sektor zu fördern, aber ob die Eigentümer der wichtigen Halbleiterindustrie, in der Taiwan weltweit führend ist, einer glaubwürdigen Drohung standhalten würden, vom übrigen kapitalistischen Weltmarkt abgeschnitten zu werden, ist fraglich. Schon jetzt verlagern viele taiwanesische Unternehmen ihre Betriebe nach Vietnam, Indien oder Mexiko und in die USA. Aber was ist mit dem Rest der taiwanesischen Bevölkerung, einschließlich derjenigen, die dazu gebracht wurden, für die separatistische Demokratische Fortschrittspartei Taiwans zu stimmen (die seit 2016 die Präsidentschaft und die Mehrheit in der Legislative der Insel innehat)?

In einem kürzlich erschienenen Beitrag von Professoren der Rechtsfakultät der Universität Wuhan mit dem Titel „Eine Übersicht über die nationale Vereinigung Chinas“4 wird festgestellt:

„Es ist absehbar, dass es ohne ausreichende politische Führung und institutionelle Garantien für die taiwanesischen Landsleute, die lange Zeit von den taiwanesischen Behörden eine ‚antikommunistische‘ Erziehung erhalten haben und von der ‚Entsinizierungs‘-Politik betroffen waren, schwierig sein wird, ihre Identität nach der Wiedervereinigung der Staatsmacht spontan zu verändern.“

Wie also soll das erreicht werden? Die Juraprofessoren aus Wuhan fordern „ein institutionelles System mit einer kohärenten und einheitlichen narrativen Struktur, um die Umwandlung der historischen, kollektiven und individuellen Identitäten der taiwanesischen Landsleute zu verwirklichen“, das „die Umwandlung der Identitäten der taiwanesischen Landsleute fördert“, um „die taiwanesischen Landsleute zur Bildung einer korrekten kollektiven Identität anzuleiten“ und um „eine korrekte individuelle Identität zu bilden“. Dies ist ein Aufruf zu einer gigantischen bürokratischen Umerziehungskampagne im Stil des Mao-Stalinismus, nach der Wiedervereinigung.

Um die Massen der arbeitenden Menschen in Taiwan für die Wiedervereinigung zu gewinnen, ist es in der Tat notwendig, die giftige antikommunistische taiwanesische nationalistische/separatistische Ideologie zu bekämpfen, die von den Imperialisten und ihren Handlangern in der US-neokolonialen Regierung von Taiwan gefördert wird. Die Politik der Bürokratie besteht jedoch darin, den chinesischen Nationalismus mit Gewalt zu fördern. Nirgendwo im Wuhan-Dokument oder in Xis Rede von 2019 wird von Sozialismus oder dem Aufbau von Klassenbewusstsein gesprochen. Und die einzige Erwähnung der Autonomie eines wiedervereinigten Taiwans bezieht sich auf die Beibehaltung seiner kapitalistischen sozialen Beziehungen und seiner „Lebensweise“. Dennoch gibt es eine reale Grundlage für den Aufbau eines internationalistischen kommunistischen Bewusstseins unter den taiwanesischen und festlandchinesischen Arbeitern, um den Klassenkampf gegen die Kapitalisten zu führen und deren Verteidiger abzusetzen, deren Politik die Grundlagen und Errungenschaften der chinesischen Revolution gefährdet. Diese internationalistische Orientierung steht natürlich in diametralem Gegensatz zur nationalistischen Weltanschauung und dem Programm des Stalinismus, das auf das antimarxistische Dogma vom „Sozialismus in einem Land“ zurückgeht, das von Stalin vertreten und von Mao und seinen Nachfolgern übernommen wurde.

Nicht Nationalismus oder Patriotismus, sondern das revolutionäre Bewusstsein muss geweckt werden, dass die Arbeiter in Taiwan zusammen mit ihren Genossen auf dem chinesischen Festland die Macht haben, den Kapitalismus zu enteignen, alle Fabriken und Industrien auf der Insel zu übernehmen und sie in die zentralisierte Planwirtschaft Chinas einzugliedern. In vielen Fällen stehen taiwanesische und festlandchinesische Arbeiter denselben kapitalistischen Bossen gegenüber. Einer Erhebung zufolge beschäftigten taiwanesische Unternehmen 2019 mehr als 3,2 Millionen Arbeiter in Festlandchina.5 Inzwischen gibt es in Taiwan etwa 4 Millionen Industriearbeiter (35% der insgesamt 11,5 Millionen Beschäftigten).6 Darüber hinaus gibt es in Taiwan mehr als 700000 eingewanderte Arbeiter, vor allem von den Philippinen, aus Indonesien, Vietnam und Thailand, die „8% der Arbeitskräfte des Landes ausmachen und von denen mehr als 60% im Industriesektor arbeiten, unter anderem in der Mikrochip-Industrie“.7 Diese Arbeiter werden durch ein Arbeitsvermittlungssystem praktisch in Knechtschaft gehalten. Südostasiatische Arbeiter erledigen die Arbeiten, die Einheimische nicht machen wollen. So sind sie z.B. gezwungen, ohne angemessene Sicherheitsvorkehrungen mit gefährlichen Chemikalien umzugehen und in Fabrikschlafsälen in der Nähe von brennbaren Chemikalien zu wohnen, was – nicht überraschend und allgemein bekannt – zu tödlichen Bränden führt.

Eine wirklich kommunistische Führung würde sich der Sache dieser Arbeiter annehmen und sie mit den Kämpfen der Arbeiter auf dem chinesischen Festland gegen ihre brutalen taiwanesischen Bosse verbinden. Im Jahr 2018 protestierten Arbeiter in Taichung, Taiwan, gegen den Tod von drei vietnamesischen Migranten, die in einem Schlafsaal lebten, der sich gefährlich über einer Leiterplattenfabrik der Chin Poon Industrial Company befand, in der ein Feuer ausbrach. Chin Poon hat auch ein Werk in Jiangsu, China. Die Selbstmorde von Arbeitern im Jahr 2010, die gegen niedrige Löhne und erzwungene Überstunden im riesigen Foxconn-Werk in Longhua, Shenzhen, protestierten, wo iPhones und Apple-Computer hergestellt werden, erregten weltweit Aufmerksamkeit.8 China reagierte mit einer drastischen Anhebung der Löhne. Hon Hai Precision Manufacturing, die taiwanesische Muttergesellschaft von Foxconn, hat ebenfalls Werke in Taiwan sowie in Brasilien, Indien, Mexiko und einer Reihe anderer Länder. Die Imperialisten versuchen, Kämpfe gegen taiwanesische und imperialistische Unternehmen zu antikommunistischen Zwecken umzulenken, indem sie Instrumente wie das von der NED9 finanzierte China Labour Bulletin und China Labor Watch einsetzen. Um diese Arbeiter im Klassenkampf gegen ihre kapitalistischen Bosse zu vereinen, ist ein revolutionäres internationalistisches Programm erforderlich.

Echte Trotzkisten treten für die revolutionäre Wiedervereinigung Chinas ein, die einen bedeutenden Schlag gegen die imperialistische Vorherrschaft in der Welt darstellen würde. Das bedeutet, für eine sozialistische Revolution in Taiwan zu kämpfen, um die Kapitalisten auf der Insel und in ganz China zu enteignen, und für eine proletarische politische Revolution, um die Bürokratie, die die Volksrepublik China regiert, durch die Sowjetdemokratie von Arbeiterräten unter wirklich kommunistischer Führung zu ersetzen und die Revolution international auszuweiten. Die Wiedereingliederung Taiwans könnte ein gewisses Maß an Autonomie beinhalten, solange dies kein Deckmantel für die Aufrechterhaltung des Kapitalismus oder irgendeine Andeutung von „Unabhängigkeit“ Taiwans ist, die nur Unterordnung unter den Imperialismus bedeuten kann. Um die Drohungen und Aggressionen der Imperialisten ein für alle Mal zu besiegen, die Errungenschaften der chinesischen Revolution zu verteidigen und den Weg für eine sozialistische Entwicklung in ganz Asien und darüber hinaus zu öffnen, ist eine internationale sozialistische Revolution erforderlich.


  1. Nr. 67–68, Mai–Oktober 2022.↩︎

  2. Siehe „Die Ursprünge des chinesischen Trotzkismus“, Spartacist, dt. Ausg. Nr. 19, Winter 1997/98 – E&P.↩︎

  3. Siehe „Chinas ‚Marktreformen‘ – eine trotzkistische Analyse“, Spartakist Nr. 164, Herbst 2006, und Nr. 165, Winter 2006/2007 – E&P.↩︎

  4. http://www.aisixiang.com, 20. Juli 2022 [auf Chinesisch].↩︎

  5. „The Time is Up: Taiwanese Businessmen in China Facing the Centennial of the Chinese Communist Party“, Taiwan Gazette, 21. Januar 2022.↩︎

  6. „Share of Taiwanese workforce employed in the industrial sector from 2011 to 2021“, Statista.com.↩︎

  7. Equal Times, 30. Juli 2021.↩︎

  8. Siehe „China: Arbeiterkämpfe in der ‚sozialistischen Marktwirtschaft‘“ – E&P.↩︎

  9. National Endowment for Democracy (Nationale Stiftung für Demokratie); für ihre konterrevolutionären und arbeiterfeindlichen Aktivitäten berüchtigte CIA-Tarnorganisation – E&P.↩︎

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